„Ich muss mich nicht unbedingt in den Vordergrund drängeln.“, „Mein Ding ist das nicht.“, „Andere können das besser.“ – Jetzt einmal Hand aufs Herz: Kommen Ihnen diese Gedanken bekannt vor? Erwischen Sie sich immer wieder dabei, dass Sie sich vor Redesituationen drücken und anderen den Vortritt lassen? Weil Sie die herausgehobene Position im „Scheinwerferlicht“ nicht mögen? Weil Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben? Oder sich einfach unsicher fühlen?
Das Reden ist mein Beruf und ich stehe gerne auf der Bühne. Dennoch kenne ich solche Ausweichmanöver selbst nur zu gut. Einer der prägendsten Momente kam vor vielen Jahren, als ich noch angestellt war.
Ich hatte eine Tagung für 100 Vertriebsführungskräfte inhaltlich vorbereitet. Vier Tage vor der Veranstaltung ruft mich mein Chef an: „ Andrea, ich kann am Dienstag nicht die Moderation übernehmen. Ich muss zu einer Beerdigung.“ – Hmmm. Sofort habe ich als jüngstes Teammitglied die Namen von zwei erfahrenen Kollegen parat, die für ihn einspringen könnten. Typische Vermeidungsstrategie. Aber nicht mit ihm: „Nein“, sagt er „ich möchte, dass Du das machst!“ Widerstand zwecklos.
Es folgten Tage mit zermürbendem Kopfkino. Am Veranstaltungsmorgen war ich so aufgeregt wie selten zuvor: „Was ist, wenn die mich nicht als Chef-Ersatz akzeptieren?“ Ich konzentrierte mich und legte los. Von Tagesordnungspunkt zu Tagesordnungspunkt wurde ich lockerer. Als ich am Abend, ziemlich durchgeschwitzt und platt, die Feedbackbögen durchblätterte, wusste ich: „Ich habe es geschafft … und mich damit auch irgendwie freigestrampelt. Jetzt bin ich nicht mehr die Kleine. Weder in der Eigen- noch in der Fremdwahrnehmung.“
Drei gute Gründe, öffentlich zu reden
Etwas zu wissen oder zu können ist das eine. Damit nach draußen zu gehen und der Welt zu zeigen, wer Sie sind bzw. was Sie drauf haben, ist das andere. Rückblickend bin ich froh, dass mein Chef mir damals einen Tritt in den Allerwertesten verpasst hat. Darf ich Sie heute ein bisschen anschubsen, das stille Kämmerlein zu verlassen? Denn auch wenn uns der Schritt aus der zweiten in die erste Reihe manchmal ordentlich fordert … er lohnt sich:
- Sie werden sicht- und hörbar. Klar, viele Themen müssen erst einmal (im Hintergrund) ordentlich aufbereitet werden. Aber um Ihre Botschaft zu verbreiten, brauchen Sie die Auftritte im kleineren oder größeren Rahmen. Mit den richtigen Worten können Sie Ihr Gegenüber neugierig machen, für Aha-Erlebnisse zu sorgen und damit wirklich etwas bewegen. Nur so rücken Sie Ihr Herzensthema ins rechte Licht. Gleichzeitig zeigen Sie mit einem überzeugenden Auftritt, was Sie ausmacht und kurbeln geschickt Ihre Karriere an. Das Publikum wird auf Sie aufmerksam und erinnert sich an Sie. So sind Sie nicht mehr austauschbar, sondern machen sich unverwechselbar.
- Sie entwickeln sich weiter. Es ist spannend, über den eigenen Schatten zu springen und Neues auszuprobieren. Sicherlich, in der kuscheligen Komfortzone fühlen wir uns wohl und brauchen uns nicht vor bösen Überraschungen zu fürchten. Die Sache hat nur einen Haken: Wenn wir immer nur Dinge tun, die wir aus dem Effeff beherrschen, kommen wir auch nicht weiter. Das ist erst möglich, wenn wir uns auch mal etwas trauen. Sie sind der Experte in Ihrem Gebiet. Setzen Sie auf Ihr Wissen und freuen Sie sich über jede Hürde die Sie genommen haben: Waren die 50 oder 100 Zuhörer zum Beispiel beim ersten Mal noch ziemlich angsteinflößend, sind sie beim nächsten Mal doch schon irgendwie normal(er).
- Sie geben Ihrem Selbstbewusstsein einen Kick. Tolle Rückmeldungen aus dem Publikum tun einfach gut. Kennen Sie das Gefühl, in einer Stunde mindestens zehn Zentimeter gewachsen zu sein? Die Mischung aus Freude über die eigene Leistung, einer ordentlichen Portion Erleichterung und nicht zuletzt Stolz, den eigenen Schweinehund besiegt zu haben, ist einfach großartig. Zugegeben, diesen Cocktail der Emotionen gibt es nicht bei jedem Vortrag inklusive. Es lohnt sich aber, die besonderen Momente zu genießen und bewusst zu speichern. Sollten sich bei nächster Gelegenheit mal wieder Selbstzweifel breit machen, holen Sie sich dieses positive Gefühl dann zurück. Das gibt Ihnen Kraft und stärkt Ihr Selbstvertrauen für die neue Aufgabe.
Was meinen Sie? Dafür lohnt es sich doch, im neuen Jahr mit alten Gewohnheiten zu brechen und das stille Kämmerlein zu verlassen? Falls Sie noch zweifeln: Nehmen Sie sich bitte Zeit und bauen Sie keinen Druck auf. Es muss nicht gleich der Vortrag auf einer wichtigen Tagung oder die Präsentation vor 300 Zuhörern sein.
Fangen Sie mit kleineren Auftritten an: Das kann der Wortbeitrag im Meeting sein, bei dem Ihnen das Herz klopft. Ein kurzes Grußwort bei der Geburtstagsfeier Ihres Kollegen. Oder die Produktpräsentation beim Kunden, die sonst immer der Chef macht. Gehen Sie in Ihrem eigenen Tempo. So bauen Sie Schritt für Schritt Redemut auf und werden immer souveräner.