Bevor ich Ihnen Tipps gebe, wie Sie als introvertierter Redner am besten punkten, möchte ich klarstellen, was es bedeutet, introvertiert zu sein. Der Begriff wird leider zu oft für alles mögliche gebraucht und ständig in einen Topf mit Schüchternheit und irgendwelchen anderen Hemmungen oder sogar Phobien geworfen. Doch das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.

Was heißt es denn, introvertiert zu sein?

Introversion ist genau wie Extraversion angeboren. Beide bilden gegensätzliche Pole. Die Unterschiede liegen darin, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden, welche Nervenbahnen für den Reiztransport zuständig sind und welche Botenstoffe dabei ausgeschüttet werden.

Ich will hier nicht neurologische Befunde auswalzen. Fakt ist, es gibt viele „Bau-Unterschiede“ zwischen Introvertierten und Extravertierten.

Das eigentlich wichtigste Unterscheidungsmerkmal, das Sie auch leicht bei sich selbst und anderen nachvollziehen können, ist aber dieses:

Introvertierte Menschen gewinnen ihre Energie durch das Alleinsein und verbrauchen ihre Energie, wenn Sie unter Menschen sind.

  • Sie gehen also ungern auf Partys, treffen sich lieber mit Freunden in privater Atmosphäre. Großer Lärmpegel wirkt auf sie belastend.
  • Sie brauchen viel Zeit für sich allein. Ein gutes Buch oder einen Spaziergang im Grünen werden sie also in ihrer Freizeit immer einer anderen Aktivität vorziehen.
  • Sie sind am leistungsfähigsten und kreativsten, wenn sie Dinge für sich allein durchdenken können. Sie brauchen viele Phasen, in denen sie ungestört arbeiten können.
  • Wenn sie viel unter Menschen waren, müssen sie sich unbedingt Zeit für sich nehmen, in der sie sich allein erholen können. Sonst fühlen sie sich völlig ausgelaugt und reagieren gereizt.

Bei den Extravertierten ist es andersherum. Sie gewinnen Energie durch Kontakt zu anderen und verlieren, wenn sie allein sind.

Was aber definitiv fest steht: Introversion hat rein gar nichts mit Schüchternheit, also Menschenscheu, zu tun. Denn ein schüchterner Mensch ist jemand, der sich Kontakt zu anderen wünscht und gleichzeitig unter seiner Angst vor deren Reaktion und Bewertung leidet. Er würde ja gern, traut sich aber nicht.

Ein Introvertierter hingegen geht nur dann in Kontakt, wenn er das will und er echtes Interesse an seinem Gegenüber hat. Da er nicht so auf Kontakt zu anderen angewiesen ist, hält er sich manchmal einfach zurück, um seine Ruhe zu haben. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern ist einfach überlebenswichtig für einen introvertierten Menschen!

Natürlich kann man nicht ausschließen, dass ein Introvertierter auch noch schüchtern ist. Eines ist allerdings klar: Das eine hat mit dem anderen keinen unmittelbaren Zusammenhang. Es gibt nämlich auch genug extravertierte Menschen, die schüchtern sind!

Ich bin selbst introvertiert und beschreibe meine Introversion so:

„Ich mag keinen Small Talk. Ich bin mir selbst genug. Stille ist so wunderbar. Ich will nicht immer reden. Unter Menschen bin ich schnell erschöpft und überreizt. Ich denke viel über mich und die Welt nach. An fremde Menschen und Umgebungen muss ich mich erst gewöhnen. Ich beobachte erst und halte mich lieber im Hintergrund. Lasst mich doch alle in Ruhe, wenn ich in eine Sache vertieft bin!“
Auszug aus dem Vorwort zu meinem 2014 erschienen Buch „Leise überzeugen: Mehr Präsenz für Introvertierte“.

Introvertierte Redner

Nun könnte man denken, dass introvertierte Menschen ungesellig und verschlossen sind. Und möglicherweise, dass wir keine guten Redner sein können. Doch so ist das nicht. Auch wir sind gern im Kontakt mit anderen Menschen und sind offen für unsere Mitmenschen. Nur eben in anderen Dosen, als das bei Extravertierten der Fall ist, die unbedingt Kontakt brauchen, um sich wohlzufühlen.

Außerdem steht man als Redner allein auf der Bühne und sendet an viele. Das ist keine allzu herausfordernde Angelegenheit für Introvertierte. Im Gegenteil. Viele Introvertierte lieben es, auf der Bühne zu stehen. Ich gehöre auch dazu. Ich halte zum Beispiel sehr gern Vorträge und Webinare. Das macht mir viel Freude und gibt mir Energie, weil ich so mein Herzensthema unter viele Menschen bringen kann.

Wenn ich dagegen ein Tages-Training in Live halte, wo ich über Stunden mit vielen Teilnehmern gleichzeitig im Kontakt bin, wo ich über einen langen Zeitraum präsent und mit allen Sinnen komplett da bin, dann habe ich das Gefühl, ich gebe alles von mir. Das erschöpft mich sehr, so dass ich danach am liebsten für drei Tage auf die einsame Insel fliehen möchte.

Uns Introvertierten liegen also tausendmal mehr die Kontexte, in denen wir „Ich an Viele“ senden können, als wenn wir in Situationen sind, wo ein „Viele an mich“ oder „ich unter vielen“ entsteht.

Außerdem sollte man immer beachten, dass Introversion nur ein Merkmal der Persönlichkeit ist. Denn jeder Mensch ist natürlich weit mehr ist als nur intro- oder extravertiert. Unsere Persönlichkeit ist sehr komplex und setzt sich aus vielen verschiedenen Teilen zusammen. Durch die Erziehung und die Erfahrungen zur Außenwelt wird der Einzelne so geprägt, dass jeder Introvertierte anders ist als ein anderer.

Es gibt jede Menge Introvertierte, die sich extrovertierte Verhaltensweisen angewöhnt haben, weil sie damit im Leben einfacher durchkommen, bzw. sich das davon versprechen. Ich gehöre selbst zu diesen Menschen: So habe ich mir schon in der Pubertät eine bestimmte Expressivität, Spontaneität und Schlagfertigkeit antrainiert. Das strengt mich zwar sehr an. Aber für die Menschen, die mich nicht gut kennen, ist es oft überhaupt nicht ersichtlich, dass ich introvertiert bin. Heute versuche ich immer mehr, mich so zu verhalten, wie es meiner Persönlichkeit entspricht. Ist einfach artgerechter und macht mir viel mehr Freude am Leben.

Und da wären wir bei einem sehr wichtigen Punkt, dem wir uns immer wieder stellen, auch als Redner: Muss ich mich verändern, um erfolgreich zu sein? Muss ich expressiver, lustiger, locker-flockiger werden?

Meine ganz klare Antwort darauf ist: Nein, auf gar keinen Fall!

Ganz im Gegenteil. Ihre Aufgabe ist es, sich auf das zu besinnen, was Sie ganz und gar als Person ausmacht und auf dieser Basis Ihre ganz eigene Art des Redens zu kultivieren. Und aufzuhören, sich an irgendwelchen Vorbildern zu orientieren, die nichts mit Ihrer Persönlichkeit zu tun haben und von Haus aus ganz andere Voraussetzungen mitbringen.

Dazu ein Beispiel aus meinem eigenen Leben, bei dem ganz klar wird, wie kontraproduktiv es ist, sich zu verstellen:

Als ich vor Jahren als angestellte Wirtschaftsingenieurin an mehreren Projekten arbeitete und viele Präsentationen zu halten hatte, verglich ich mich immer mit meinem damaligen Chef, der eine irrsinnige Begabung hatte, Zahlen, Daten und Fakten zu jonglieren, und sie äußerst wirkungsvoll präsentierte. Also habe ich mich daran gemessen und versucht, meine Präsentationen genauso aufzubauen und zu halten. Doch irgendwie passte das nicht zu mir. Das wusste ich schon damals. Nur habe ich daraus falsche Schlüsse gezogen: Ich hielt mich für eine schlechte Präsentatorin. Das machte mich sehr unglücklich und ich hasste es, trotzdem immer präsentieren zu müssen. Davon abgesehen, waren meine Präsentationen damals wirklich eher durchschnittlich.

Eines Tages war ich spontan zu einem Meeting eingeladen worden, wo ich über die Fortschritte eines von mir geleiteten Projektes berichten musste. Ich konnte keine Präsentation vorbereiten, sondern musste mich darauf verlassen, was ich an Informationen im Kopf hatte. Aufregung! Panik! Doch es nützte nichts. Ich musste etwas sagen. Todesmutig ging ich nach vorne und fing an, statt über Daten und Fakten über die Zusammenhänge innerhalb des Projektes zu sprechen und darüber, welche Auswirkungen die Verzögerungen im Projekt auf andere Projekte und damit betraute Mitarbeiter hatten. Um die einzelnen Stationen darzustellen, griff ich mir das sonst nie genutzte Flipchart und malte darauf. Ich redete mich wirklich in Rage, was ich von sonstigen Präsentationen nicht kannte.

Als ich fertig war, sah ich die erstaunten Gesichter der ganzen Führungsriege zu mir aufschauen. Der Chef war begeistert und lobte mich vor versammeltem Gremium (was schon eine Rarität war). Mehrere Kollegen sprachen mich im Anschluss an und sagten, dass ich so ganz anders aufgetreten sei und dass sie mich als wesentlich präsenter erlebt hatten als sonst.

So entdeckte ich rein zufällig, dass meine vorigen Präsentationen durchschnittlich waren, weil es einfach nicht meine Art zu präsentieren war. Weil ich mir ein Maßstab gewählt habe, der überhaupt nicht zu meinen Qualitäten passte. Heute weiß ich, welche Stärken ich habe und was mir ganz selbstverständlich gelingt. Statt mich an anderen zu orientieren, versuche ich immer, meinen eigenen Weg zu suchen.

Deswegen gebe ich Ihnen diese 3 Tipps, mit denen Sie ein wirklich guter Redner werden:

1. Erkennen Sie an, wer und wie Sie sind, arbeiten Sie Ihre Qualitäten heraus und nutzen Sie sie, statt danach zu schielen, was Sie nicht sind und was Sie nicht haben!

2. Suchen Sie sich Vorbilder, die Ihnen entsprechen, die ähnliche Voraussetzungen mitbringen und den Weg zum erfolgreichen Redner schon gegangen sind.

3. Suchen Sie Ihren eigenen Weg, machen Sie es auf Ihre ganz persönliche Art. Damit sind Sie unverwechselbar und wirklich gut!

Über die Autorin:
Natalie Schnack hilft mit ihrem Coaching introvertierten Solo-Unternehmern, ihr Herzensthema auf den Punkt zu bringen und auf eigene, auch zurückhaltende Art, zu vermarkten. Um ein erfolgreiches Business aufzubauen, das zu der eigenen Persönlichkeit passt. Auch in ihren beiden Büchern: „30 Minuten Selbstbehauptung“ und „Leise überzeugen: Mehr Präsenz für Introvertierte“ sowie im Blog gibt sie Introvertierten Tipps, wie sie in einer lauten Welt gut für sich sorgen können und ihren eigenen Weg zum erfolgreichen Business finden und gehen.

Gleich weiterschmökern:
Raus aus dem stillen Kämmerlein!
Bewunderung: Von anderen lernen statt sich selbst vernichten!