© Alena Ozerova fotolia.com

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Beschleicht Sie zum Jahresende auch manchmal das Gefühl, dass das Leben nach dem 31. Dezember nicht weitergeht? Da müssen – husch, husch – im „alten Jahr“ noch Projekte abgeschlossen, Geschäfte unter Dach und Fach gebracht und Bekannte getroffen werden, als ob es kein morgen gäbe. „Ganz nebenbei“ stehen Weihnachtessen, Festtagsvorbereitungen und nicht selten wahre Geschenkemarathons auf dem Programm.

Die Folge: Gerade im Advent knubbeln sich Termine und Verpflichtungen. Von stiller Zeit und Besinnlichkeit ist nicht viel zu merken. Stattdessen machen sich allzu häufig Stress, Hektik und Gereiztheit breit.

Sie wollen diesem „ganz normalen Wahnsinn“ für einen Moment entfliehen?

Dann lesen Sie doch mal wieder vor! Damit meine ich nicht nur die Märchenstunde für die Kinder in Ihrem Umfeld, die den Kleinen das Warten aufs Christkind verkürzt, sondern insbesondere bewusste „Vorlese-Auszeiten“ für die Großen. Die sind weit weniger verbreitet, so dass Sie jetzt vielleicht ein bisschen überrascht sind. Doch wenn man einmal genauer hinschaut, liegen die Pluspunkte auf der Hand – gerade in der trubeligen Vorweihnachtszeit:

  • Vorlesen bedeutet, bewusst da zu sein und sich Zeit zu nehmen … für den Partner, eine Freundin/einen Freund oder einen anderen Menschen, der Ihnen wichtig ist. Es heißt außerdem, sich voll und ganz auf seine Zuhörer einzustellen und dabei immer auch ein Stückchen von sich selbst zu geben. Beste Voraussetzungen also für Momente, in denen Sie Ihrem Gegenüber besonders nah sind.
  • Vorlesen funktioniert nur, wenn sowohl derjenige, der liest, als auch die Zuhörer völlig im Hier und Jetzt sind. Sich auf die Geschichte einlassen und gemeinsam in eine andere Welt eintauchen. Damit ist es für alle Beteiligten eine wunderbare Gelegenheit, runterzukommen, den Alltag für einen Augenblick auszublenden und zur Ruhe zu finden.
  • Vorlesen sorgt – je nach gewählter Lektüre – für neue Impulse. Es schafft eine gute Grundlage, um ins Gespräch zu kommen und Gedanken auszutauschen.
  • Vorlesen stillt den Durst nach Geschichten. Und dass die auch in der Erwachsenenwelt hoch im Kurs stehen, zeigen nicht zuletzt die unglaublichen Erfolge von Hörbüchern.

Vorlesen – Genuss statt Einschlafhilfe!

Um Ihr Gegenüber nicht in den Schlaf zu wiegen, sondern von Anfang bis Ende bei der Stange zu halten, ist alles erlaubt … außer monoton! Aber keine Sorge, Sie brauchen weder eine Sprecher- noch eine Schauspielausbildung. Mit den folgenden Tipps und Tricks gelingt es Ihnen ganz bestimmt, die Menschen in Ihren Bann zu ziehen:

  • Die Basis einer gelungenen Vorlesestunde ist der richtige „Stoff“. Wählen Sie Bücher, Geschichten, Märchen oder Gedichte, die wirklich alle Beteiligten ansprechen und schauen Sie, ob die Lektüre auch zu Ihrer Zeitplanung passt. Wenn Sie nur ab und zu vorlesen, ist es sinnvoll, in sich abgeschlossene Geschichten auszusuchen. Damit wissen alle, wie es ausgeht und haben wirklich etwas von der gemeinsamen Lesezeit. Sitzen Sie regelmäßig mit Ihren Lieben zusammen, können Sie ruhig auch einen Roman in Etappen lesen. Wie schön, wenn Sie sich schon heute auf morgen freuen und gespannt sind, was weiter passiert!

Na, dann schauen Sie doch gleich einmal, was Ihr Bücherregal so hergibt. Ganz bestimmt findet sich etwas Passendes für Ihre kleine Auszeit. Zu den Klassikern gehört für mich „Der kleine Prinz“. Aber auch den außergewöhnlichen Mail-Briefwechsel aus „Gut gegen Nordwind“ und seine Fortsetzung in „Alle sieben Wellen“ finde ich ganz wunderbar für zweisame, entspannte Leseabende.

  • Schaffen Sie eine gute Atmosphäre. Mummeln Sie sich auf Ihrem Sofa in eine Decke ein oder kuscheln Sie sich in Ihren Lieblingssessel und gönnen Sie sich doch mal den Luxus, für eine halbe Stunde sämtliche „Störquellen“ (Fernseher, Radio, Internet, Telefon, …) auszuschalten.

Einfach nur Ruhe: Sie, Ihre Zuhörer, das Buch … und vielleicht etwas Leckeres zum Knabbern. Zünden Sie Kerzen an und genießen Sie bewusst das Flackern, die Wärme und den Duft, den sie verströmen.

  • Nehmen Sie sich Zeit zum Ankommen. Suchen Sie sich eine bequeme Sitzposition und probieren Sie aus, was sich gut anfühlt. Ideal ist es, möglichst aufrecht zu sitzen, so dass der Atem frei fließen kann. Spüren Sie in sich hinein, atmen Sie ein paar Mal tief durch – bis in den Bauch hinein und lassen Sie mit jedem Atemzug ein Stückchen Stress hinter sich. Nicht nur Ihre Zuhörer werden es Ihnen danken, wenn Sie als Vorleser entspannt und im Moment sind – auch Ihre Stimme klingt so viel lockerer.
  • Lassen Sie sich auf den Text ein. Wirkungsvoll zu lesen, bedeutet die eigene „Schutzhülle“ abzulegen, in andere Rollen zu schlüpfen, die Emotionen des Textes aufzugreifen und zu transportieren. Das gelingt Ihnen mit Tempowechseln zwischen schnellen und langsamen Passagen, die Bewegung in die Geschichte bringen. Aber auch der gezielte Einsatz von hoch und tief sowie laut und leise hilft Ihnen, eine Stimmung widerzuspiegeln. Je nach Textpassage dürfen Sie richtig lospoltern oder auch mal flüstern. Bringen Sie dabei gerne Ihre Hände ins Spiel und unterstützen Sie das Gelesene mit Ihrer natürlichen Gestik.

Nicht zuletzt können Sie mit der bewussten Modulation einzelner Worte Akzente setzen und zum Beispiel ein Wort wie „gähnen“ extrem gedeeeeehnt sprechen und das Wort „spitz“ ganz kurz und zackig betonen. Sie dürfen ruhig dick auftragen, denn was Ihnen vielleicht übertrieben erscheint, kommt beim Zuhörer einfach lebendig an. Wenn sich das für Sie erst einmal komisch anfühlt, probieren Sie es zunächst alleine aus: Lesen Sie sich den geplante Text im stillen Kämmerlein selbst laut (!) vor. Schauen Sie, was wann kommt, machen Sie sich mit den Stimmungen vertraut und experimentieren Sie. So gewinnen Sie Sicherheit und werden von Mal zu Mal mutiger.

  • Pausen machen gute Geschichten. Lassen Sie sich Zeit und halten Sie immer wieder bewusst inne. Abgesehen davon, dass Ihnen so beim Vorlesen nicht die Luft ausgeht, wird es für Ihre Zuhörer leichter, Ihnen zu folgen. Pausen sorgen obendrein für Spannung! Lesen Sie den folgenden Satz einmal laut – erst ohne Pause, dann mit Pause:

Variante 1: Der kleine Junge hatte nur einen Wunsch an das Christkind: Er wollte endlich groß werden.

Variante 2: Der kleine Junge hatte nur einen Wunsch an das Christkind: (drei Sekunden Pause) Er wollte endlich groß werden.

Merken Sie den Unterschied?

  • Vorlesen ist ein gemeinsames Ereignis. Es lebt von der Verbindung zwischen Ihnen und Ihren Zuhörern. Diese Brücke bauen Sie am einfachsten, wenn Sie nicht in Ihrem Text versinken, sondern immer wieder den Blickkontakt suchen und die Menschen um Sie herum anschauen!

Wann immer Sie Ihr Gegenüber ansprechen und anschauen, haben Sie sofort einen direkten Draht … jetzt können Sie zusätzlich Ihre Mimik nutzen und beispielsweise die Augen weit aufreißen. Falls es zum Text passt, scheuen Sie nicht davor zurück, mit kleinen Berührungen auch einen echten Kontakt herzustellen.

Na, haben Sie Lust aufs Vorlesen bekommen?

Schnappen Sie sich heute Abend Ihre Lieben, machen Sie es sich kuschelig – vielleicht bei Kerzenschein, Vanillekipferln und einer Tasse Tee oder einem schönen Glas Rotwein – und lesen Sie los! Sie werden sehen: Auch wenn es sich am Anfang vielleicht ungewohnt anfühlt, Vorlesen ist wertvolle gemeinsame Zeit, die ankommt.

Und für den Fall, dass Sie dringend noch ein Weihnachtsgeschenk brauchen: Legen Sie doch einmal einen Gutschein für einen gemeinsamen Leseabend unter den Christbaum – einfach „nur so“ oder als Beigabe für ein Buch, das Sie ohnehin verschenken wollen.

Wer weiß, vielleicht ist das sogar der Beginn eines schönen, neuen Rituals in Ihrer Partnerschaft, Familie oder in Ihrem Freundeskreis – auch über die Weihnachtszeit hinaus!?

Übrigens: Die Tipps und Tricks mit denen Sie Ihr Gegenüber beim Lesen in den Bann ziehen, gelten genauso fürs freie Reden – nicht nur in der Vorweihnachtszeit. ☺