Ruf-doch-mal-wieder-an

© Andrea Joost

Kürzlich ist mir ein Plädoyer fürs Chatten zwischen die Finger gekommen. Telefonieren sei laut und übergriffig, hieß es da. Der schriftliche Austausch hingegen diskret und höflich. Okayyyyy?!?!

In der Tat ertappe ich mich selbst dabei, dass – zumindest privat – immer weniger telefoniert wird. WhatsApp und Messenger geben den Kommunikationston an. Greift man doch zum Hörer, werden Telefonate häufig gar per Chat angekündigt. Vorbei die Zeiten, in denen wir einfach mal durchgeklingelt haben.

Stattdessen wird munter drauflos getippt. Die Schreiberei ist ja auch ziemlich praktisch:

  • Weil es schneller geht, eine Nachricht zu formulieren als anzurufen. Meistens jedenfalls.
  • Weil Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Informationen abladen … ähm Ihre Gedanken teilen können.
  • Weil wir Zeit haben, genau zu überlegen, was wir „sagen“ wollen.
  • Weil wir unsere aktuelle Gemütslage für uns behalten können.
  • Weil sich manche Dinge vermeintlich leichter schreiben als sagen lassen.
  • Weil Sie sich nicht mit der direkten Reaktion Ihres Gegenübers auseinanderzusetzen brauchen.
  • Weil es möglicherweise ein wenig Überwindung kostet, zum Hörer zu greifen, wenn Sie mit dem anderen sonst fast ausschließlich schriftlich kommunizieren.

Keine Frage, Nachrichten sind eine feine Sache, um ohne Drumherum etwas abzustimmen oder im Alltag ein kurzes „Ich denk an Dich“-Zeichen zu schicken. Und ja, ein gelungener Schlagabtausch im Chat macht einfach gute Laune. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht in die Tasten zu hauen … unbezahlbar.

Miteinander reden statt aneinander hinschreiben!

Aber: Die schriftliche Plauderei hat ihre Grenzen. Insbesondere wenn es kniffelig wird, macht es durchaus Sinn, den Hörer in die Hand zu nehmen und auf die „diskrete schriftliche Höflichkeit“ zu pfeifen. Am besten, noch bevor die Emotionen mit Ihnen spazieren gehen.

Eigentlich selbstverständlich und trotzdem bleiben wir manchmal im geschützten Schreibrahmen – aus Gewohnheit, Bequemlichkeit oder weil wir uns vor dem direkten Kontakt vielleicht sogar ein bisschen fürchten. Dabei sorgt gerade er dafür, dass wir mit dem anderen wirklich verbunden sind. Erst jetzt wird echter, lebendiger Austausch möglich:

  • Sie können sich besser ausdrücken. Da Ihnen deutlich mehr Worte über die Lippen als über die Tippfinger kommen, lassen sich Ihre Gedankengänge ausführlicher beschreiben. Dank dieser Details und Hintergrundinformationen kann Ihr Gesprächspartner leichter nachvollziehen, was in Ihrem Kopf vor sich geht.
  • Sie haben die Chance, direkt nachzufragen, wenn etwas für Sie unstimmig ist. So werden Sätze verstanden, wie sie verstanden werden wollen und Sie bekommen ein Gefühl, welche Geschichte sich Ihr Gegenüber gerade erzählt. Sehr wahrscheinlich ist es eine andere als die, die Sie mit sich herumtragen. Je schneller Sie für klare Verhältnisse sorgen, desto besser.
  • Sie nehmen sich gegenseitig wahr, Ihre Stimme und Stimmung. Und hey, dazu gehören vielleicht auch Kloß-im-Hals-Momente, sprachlose Momente, wütende Momente, verletzte oder beleidigte Momente. Freilich kann das fordernd sein. Emotional nackig irgendwie. Jedoch befreiend! Denn diese Offenheit ist entscheidend, um tatsächlich aufeinander zuzugehen.

In echt reden, eben … braucht hin und wieder ein bisschen Mut, tut aber gut.

Also, ran an den Hörer! Oder moderner gesagt: Stöpsel ins Ohr! :-)